In Gedenken an Ursula Ehler-Dorst Dramatikerin

Rede von Intendantin Iris Laufenberg anlässlich der Gedenkfeier am 10. März 2024

Lieber Christian, liebe Familie von Ursula und Tankred, liebe Freund:innen, liebe Kolleg:innen – im Gedenken an Ursula begrüße ich euch sehr herzlich und freue mich, dass ihr heute gekommen seid! 

Es war Christian und mir ein Anliegen, dass diese Gedenkfeier in einem Theater stattfindet – und da bot sich das DT mit seiner – nicht nur anlässlich des Weltfrauentages – immer pinken Bühne hier im Rangfoyer, in diesem prachtvollen Raum, geradezu an. 

Diese Künstlerpersönlichkeiten, Ursula Ehler und Tankred Dorst haben mich beruflich sowie persönlich sehr geprägt. 

Tankred Dorst war seit den beginnenden 60ern schon ein bekannter, sehr gut vernetzter Theaterautor. Er arbeitete mit Peter Zadek, Patrice Chereau und anderen Größen des Theaters zusammen. Auch wurde sein Stück Toller zum einzigartigen und damals „revolutionären Ereignis”. 
Allerdings ist es so, dass Tankreds Ruhm in der ganzen Welt erst durch die Zusammenarbeit mit Ursula Anfang der 70er Jahre begann, endgültig dann mit dem Opus Magnum der beiden, mit Merlin oder das Wüste Land.

Wie kam das zustande? Wie war das, das Zusammen-Arbeiten? 
Erst einmal, behaupte ich: von Grund auf humanistisch. Dem Menschen gegenüber zutiefst kritisch, aber nie wütend oder zornig. Denn (ein Zitat der beiden): „Im Zorn kann man eine Rede halten, aber kein Theaterstück schreiben. Der Autor tut besser daran, seinen Mund zu halten, und die Personen auf der Bühne sollten so tun, als ob sie den Autor nie kennengelernt hätten.”

Ein zentraler Punkt ihres Zorn-freien Arbeitens war das Reisen. Sie kamen nicht nur Einladungen in die Welt zu zahlreichen international inszenierten Merlin-Inszenierungen nach – in unterschiedlichsten Regie-Handschriften und Sprachen. Nein, sie reisten ab 1991 auch als Scouts, Autorinnen und Autoren fördernd, für ein Drama-Festival, die Bonner Biennale quer durch Europa. 

Dabei sponnen sie ein weltweites Menschennetzwerk, denn egal wo sie hinkamen, gingen Türen auf und der Dialog wurde erweitert um oft durchaus kauzige Menschenwesen und ihre Geschichten. 
So kamen die beiden Schreib- und Reise-Süchtigen nie ohne Menschengeschichten zurück, manifestiert in Theaterstücken, Erzählungen oder Reiseberichten. Einer der vielen von ihnen aufgeschriebenen Berichten, fiel mir im Nachdenken über und Erinnern an Ursula jetzt wieder in die Hände. 

Biennale-Reise 1993, für das Festival 1994, ein kleiner Ausschnitt einer Russland-Fahrt im schweren eisernen Auto durch verschneite Wälder unter winterdunklem Himmel:

„Auf unserer Reise nach Sowjetsk – dem früheren Tilsit – sahen wir eine realistische Komödie über das Leben in den fünfziger Jahren: Die Bewohner einer Baracke hoffen darauf, eines Tages in ein neu entstehendes Hochhaus einziehen zu können. ‚Wann haben wir endlich den Kommunismus?‘ fragt eine alte Frau in dem Stück; und auf die Frage, wie sie sich denn das Leben im wirklichen Kommunismus vorstelle, gibt sie zur Antwort: ‚Wie zur Zarenzeit.‘”

Warum war es ihnen wichtig, diese Beobachtung dem Bonner Biennale-Publikum im Programmbuch zum Festival mitzuteilen, zumal diese Inszenierung am Ende gar nicht nach Bonn eingeladen wurde? Dieser Gedankenspur folgend stoße ich auf ein Interview der beiden, das sie dem Magazin Revolver gegeben haben. Es ging um ihren Film Mosch und Klaras Mutter

Ursula sagte da: „In einer Zeit, wo es um ‚Gleichschalten‘ ging – in dem Film kommt ja auch die Wahl von ’33 vor – war sie, Klaras Mutter, ein besonderes Ärgernis, weil das Individuelle, merkwürdig Widerborstige, das ärgert die Leute in einem Dorf, wo jeder jeden beobachtet. Wie kann das gehen, wenn man versucht, sich eine eigene Welt zu schaffen, wie diese drei Personen, die Mutter, die Tochter und der junge Pole, mit Lebensreform und Vegetarismus (!) und eigentlich urkommunistischen Ideen umgehen in einer ganz anders orientierten Dorfgesellschaft?”

Ich habe angesichts des auf dieser pinken Bühne in den vergangenen Tagen lustvoll und straight gefeierten Weltfrauentages überlegt, ob Ursula eigentlich eine Feministin war. Zumal sie an der Seite eines, schon vor ihrer Beziehung, berühmten Mannes gelebt und gearbeitet hat, und sich selbst als Co-Autorin ja in der Öffentlichkeit irgendwie immer zurückgenommen hat. Angesichts der oben von mir zitierten Frauenfiguren muss ich sagen: Ja, Ursula, in meinen Augen warst du das schon, eine, wenn auch in sehr eigener Art, Frau, die auch andere Frauen im Auge hatte. Du wusstest, dass die Frau das erste Opfer in einer Gesellschaft der Gleichschaltung von Menschen ist.

Tankred und du, ihr habt natürlich zusammen über den „Menschen” allgemein nachgedacht und geschrieben. 
Ihr betontet immer wieder:  „Ohne die Menschen zu lieben, kann man nicht schreiben – auf alle Fälle keine Theaterstücke, die von Menschen handeln.” Und der Mensch, der die Fähigkeit hat zu leben, im Leben wie auf der Bühne, für den gilt euer Pamphlet: Wer lebt, stört

Mir wurde in den Herzen dieser beiden Menschen ein Platz angeboten, in dem ich mich einige Jahre eingerichtet hatte.

Nachdem wir uns schon weit über zehn Jahre kannten und ich 2004 meinen Herzensmenschen Martin kennen lernte, und Ursula eifrig von diesem Ereignis berichtete, reagierte sie sehr, sehr skeptisch. Was? Plötzliches Verliebtsein? Ich reagierte mit empörtem Insistieren: „Glaub mir, Ursula, der Martin ist der Richtige, fast wie ein Sechser im Lotto.” Da wurde sie noch skeptischer. Das war aber kein Misstrauen, vielleicht doch eher ihr feministischer Sachverstand – und der ist ja sehr, sehr gesund. Sie wusste, dass solche Begegnungen rar sind. Rar, aber eben auch durchaus möglich! Sie akzeptierte Martin nach einer persönlichen Prüfung, um das abzuschließen :)

Die Erzählung Ursulas Kennenlernen von Tankred, immer wiederholt, war fast wie ein kleines Theaterstück, das in meiner Erinnerung zu einem Foto zusammengeschmolzen ist:

Wie Ursula und Tankred sich erstmals im Puppentheater Kleines Spiel in München begegneten: er lässig im Türrahmen lehnend, sie jung und neugierig Tankreds Blick nicht ausweichend. Eine kurze Begegnung, die euer gesamtes Leben werden sollte. 

Von der Liebe zur Marionette:

Was ist eigentlich eure Verbindung zur Marionette jenseits des Kennenlernens im Marionettentheater München Ende der 60er gewesen?

Ich weiß nur, dass eure Leidenschaft für die Marionette schon losging, bevor ihr euch kanntet, und es ist vielleicht doch kein Zufall war, dass ihr euch dort begegnet seid – bereit für das gemeinsame Leben.
Ursula, du erzähltest mir immer wieder, was die Marionette für dich bedeutete. Eine dir wichtige Marionette war mit hängendem Kopf und baumelnden Armen wie Beinen an der Decke festgemacht und wartete darauf, zum Leben erweckt zu werden. War das bei dir im Elternhaus? Ich weiß es nicht mehr.   

Tankred stellte schon 1958 fest: „Und es ist durchaus kein abwegiger Gedanke mehr, anstelle der Fäden, die man erst im ausgehenden 19. Jahrhundert eingeführt hatte, wieder stark sichtbare Eisendrähte zur Führung der Figuren zu verwenden. Es soll dem Zuschauer bewusst bleiben, dass dies Puppen sind, die agieren, dass dies Spiel ist, Parabel unserer Wirklichkeit selbst – ein Spiel, dem sogar der Spielende zuschaut. Die Marionettenbühne ist im Begriff einen künstlerisch hoch einzuschätzenden Rang einzunehmen.”

Ich bin baff im Nachlesen eurer Leidenschaft für die Puppe. Hier neben mir seht ihr Merlin, den Sohn des Teufels und Regisseur wie Betrachter des Untergangs der Menschheit, als Marionette. Der Regisseur Jan-Christoph Gockel hat mit dem Puppenbauer und -spieler Michael Pietsch und dem Ensemble 2015 mit Merlin oder das Wüste Land meine Intendanz in Graz eröffnet.

Tankred und Ursula haben diese Vorstellung drei Mal gesehen: zwei Mal in Graz und dann als Gastspiel in Wiesbaden 2016 bei den Maifestspielen. Wir waren damals aufgedreht wie kleine Kinder, obschon Tankred seinem Tode 2017 schon sehr nahe war, ihr wart verliebt in das Leben, die Menschen und in das Theater. Und in diese Puppe hier, das ist somit ein wenig „unser” Merlin geworden, so musste sie auch heute den Weg hier zu uns finden. Danke Jan und Michael dafür. Dieser Merlin wird auch heut durch die Stimme unsers Ensemblemitglieds Florian Köhler Worte zum Ende unserer Gedenkveranstaltung bekommen.

Ich erinnere mich an die damals noch vom Zigarettenqualm vernebelte, großbürgerliche Wohnung in Berlin, in die Ursula und Tankred mich zusammen mit Jan-Christoph Gockel, Michael Pietsch und seinen Merlin-Puppen Ende des Jahres 2014 eingeladen hatten. Wir wollten unsere Vorarbeit bewerben und unsere Ideen teilen.

Wir waren mega stolz gemeinsam über Hintergründe plaudern zu können und hockten am Ende alle begeistert vor diesem kleinen großen Merlin auf dem Teppichboden und lauschten seinen hölzernen Schritten – klack, klack – Tankred seine großen Finger der Puppenhand entgegenstreckend.

Was bedeutet die Puppe auf dem Theater? Vielleicht: Die beständige In-Frage-Stellung von vermeintlich gesicherten Standpunkten. Dazu kommt das Interesse an theatralischen Mitteln und Formen, der Marionette, der Commedia dell'arte, dem Clownspiel, die immer das Hergestellte, das Gemachte des Spiels mitziehen.

Ihr konstatiertet: Die Bühne ist immer die Totale. Wie habt ihr sie vorbereitet, erobert und bespielt?
Ursula Ehler antworte im Interview im Revolver: „Vormittags, meistens. Wir schreiben mit der Hand auf, und dann reden wir sehr viel über die Leute. Eigentlich gehen wir mit den Figuren so um, wie mit Menschen, die wir kennen, die wir nicht leiden können oder sehr leiden können, und das ist so eine Art von, von …” Tankred Dorst, setzt nach: „…allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden.”

1991 begann in Bonn mein Berufsleben als Assistentin, Dramaturgin und Festivalleiterin, und ich bin dankbar, dass ich es unter der Festival-Leitung von Tankred und Ursula (und natürlich Manfred und Rainer) beginnen durfte. Tankred und Ursula konnten herrlich von ihren Reisen durch Europa, vor allem eben von den lustigen, berührenden, besonderen Begegnungen mit Menschen (… ja, auch über die Theaterstücke …) berichten.

Da ihr so offen für Menschen gewesen seid, konntet ihr gemeinsam über Erlebtes herzhaft lachen, ohne je über andere Menschen zu lästern: Eure Beschreibungen ließen die Imperfektion des Menschlichen lebendig werden, fast als säßen die Begegnungen am Tisch und sprächen mit. 

Das Schönste war für mich, dass ich in den 1990ern mit ihnen beruflich reisen durfte: nach Barcelona, nach Málaga, nach Athen. Wenn man am Anfang des Berufslebens steht und solche Mentor:innen hat, dann bleibt ein gemeinsames Leben in diesen Erinnerungen zurück und verändert es zum Guten. 

Ihr wart großzügig und wurdet überall als Stammgäste begrüßt, auch wenn man euch nicht gleich als das große Künstlerduo des Theaters erkannte oder ihr gar noch nie dagewesen wart. Ihr hattet gemeinsam einfach das gewisse Etwas, das eine Berühmtheit ausstrahlt, ohne je aufgesetzt zu wirken, freundlich, selbstbewusst, lässig.

Ich würde sagen, ich habe euch geliebt, oder noch ehrlicher das Sein an eurer Seite.

Seit 1991 schoss mir nicht selten der Gedanke durch den Kopf, dass diese beiden meine Wahleltern sein könnten: freundlich, intellektuell, emotional nahbar und immer mit offenen Armen, in denen ich manchmal ganz verschwinden konnte.

Ursula hatte auch einen Sinn für alle, die die Bonner Biennale ermöglichten: das Kernteam mit Almut Wagner und alle helping hands drumherum. Wenn Ursula nach Bonn kam, dann nie ohne Nervennahrung für mein vom Festival gebeuteltes Team: Es gab Erdbeeren, Eis, Schokolade – und immer diesen Humor, diese Wärme, die mit ihr den Raum betrat. 

Als beide von München nach Berlin umzogen, kam auch ihr unter Kolleg:innen und Freund:innen berühmter Apotheker-Schrank mit. Einige ungehobene dramatische Schätze liegen darin bestimmt noch verborgen. Einige dieser Schätze warten darauf, neu und wieder geborgen zu werden. Ich beteilige mich sehr gerne an diesem Unternehmen.

Ursula ist sicherlich ganz in der Nähe dieses Apotheken-Schatzes am 26. Februar 2024 eingeschlafen, so stelle ich es mir vor, mit dem hoffentlich sicheren Wissen, sich endlich wieder mit Tankred auf einer Wolke sitzend eine Zigarette zu teilen. 

Ich danke Euch hier und jetzt, für eure Aufmerksamkeit und Teilhabe an meinen Gedanken.

Rede von Yvonne Büdenhölzer anlässlich der Gedenkfeier am 10. März 2024

„Geboren bin ich in einem Grab, in einer Wiege werde ich sterben.
Nun bin ich Merlin geworden, das allwissende alte Kind.
Ein Entertainer, Zauberer, Erzähler.
Verehrtes Publikum, lass mich dir meine Geschichte vom Sterben erzählen, damit ich nicht sterbe.”
 
(aus: Der Schauspieler und der Tod. 1988)

Lieber Christian, liebe Familie von Ursula, liebe Freund:innen und liebe Kolleg:innen!

Als ich von Ursulas Tod erfuhr, war mein erster Gedanke: Jetzt ist sie wieder mit Tankred zusammen!

Denn, auch wenn ich die beiden natürlich unabhängig voneinander wahrgenommen habe, war Ursula für mich kaum ohne Tankred zu denken und Tankred definitiv nicht ohne Ursula.
Das mag nach Abhängigkeiten klingen, so war ihr Leben aber ganz und gar nicht. Es war – aus meiner Perspektive – eine symbiotische Arbeits- und Lebensgemeinschaft: aufrichtig, respektvoll und wissend um die Stärken und Schwächen des Gegenübers. Sie waren ein einzigartiges Autor:innenkollektiv und Künstler:innenpaar – über 50 Jahre lang. Das habe ich bewundert.

Ursula begegnete Tankred Mitte der 60er Jahre am Münchner Marionettenstudio Kleines Spiel. Almut Wagner erzählte mir, dass Ursula ihr vor ein paar Jahren diese erste Begegnung wie folgt geschildert habe: „Sie kam die Treppe herunter und Tankred stand dort und sie wusste, dass das der Mann ist, mit dem sie ihr Leben verbringen wird.” (Da war sie noch verheiratet).
Und Ursula selber beschrieb es so: „Er arbeitete gerade am Toller und erzählte mir davon. Und ich konnte und wollte nicht ahnen, dass aus dieser Begegnung schließlich eine große Nähe entstand, ein Gespinst aus Leben und Arbeit”.

Das Stück Eiszeit, uraufgeführt 1973 in Bochum, war dann ihr erstes gemeinsames Werk. „Wir schreiben das Theater neu!”, lautete die Devise des Uraufführungs-Regisseurs Peter Zadek.
Tankred und Ursula entwickelten ihre Stücke im permanenten Dialog. „Unser Leben ist ein Gespräch”, sagte Tankred über ihre Zusammenarbeit. Sie erfanden gemeinsam Figuren, indem sie über sie sprachen, sie aufeinanderprallen ließen, mit ihnen lebten.
Die Charaktere und ihre Handlungen entstanden in einem dramaturgischen Ping-Pong-Spiel der sich zugeworfenen szenischen Einfälle.
Oft teilten sie in diesem Schaffensprozess ihre Ansichten, sie waren aber auch verschieden genug, um „riskante Auseinandersetzungen” zu führen, wie Ursula sagte. „Es ist keine gemütliche Häkelarbeit, es wird gestritten und gefeilscht, verworfen und doch wieder neu begonnen.”

Auf die Frage, was für mich das Besondere an den beiden war, antworte ich: Sie waren permanent und ständig neugierig!
Auf die Welt, auf Menschen, besonders auch auf die junge Generation.
Neugierig waren sie aber insbesondere auf andere Autor:innen – und damit meine ich nicht Tschechow, Büchner oder Hauptmann, denen sie sich nahe fühlten – sondern auf die Konkurrenz, und vor allem waren sie neugierig auf die internationalen Kolleg:innen.

1992 gründeten Ursula und Tankred – gemeinsam mit Manfred Beilharz –d as Autor:innenfestival Bonner Biennale. Denn sie wollten wissen, „was in Europa geschrieben wird”.

Bei der Biennale habe auch ich Ursula und Tankred vor 25 Jahren kennengelernt. Als wir die Neuen Stücke aus Europa dann gemeinsam kuratierten, habe ich viel von ihnen gelernt: von ihrem vorurteilsfreien, ganz gegenwärtigen, immer reflektierenden Blick auf zeitgenössische Dramatik.

Ehler und Dorst, diese vielseitig begabten Autor*innen mit ihrer unerschöpflichen Schaffenskraft, hinterlassen über 50 Theaterstücke in sämtlichen Gattungen: Tragödie, Komödie, Marionettentheater, Kindertheater, Märchen, Parabel, Farce, Lehrstück, Hörspiel, Libretto, Fernsehspiel und Drehbuch.
Die meisten davon sind im Suhrkamp Theater Verlag erschienen.

Mit ihren Stücken und Stoffen reagierten sie immer auf die großen Wandlungen der Welt. Und mit ihren eigensinnigen Themen und unterschiedlichen Tonarten haben sie das Theater stets vor neue Aufgaben gestellt, es nie bedient, sondern immer herausgefordert. In den 70er und 80er Jahren war ein Theaterspielplan ohne ein Stück von Dorst/Ehler nicht denkbar.
Und heute? „Man ist ja auch ein Kind seiner Zeit”, sagte Tankred gerne. Ursula und Tankred haben immer für ihre Zeit geschrieben. Und doch lohnt es sich gleichermaßen, die Zeitlosigkeit ihres Werkes wieder zu entdecken.

Die Geschichte vom Herrn Paul etwa, der in seiner Seifenfabrik ausharrt und seinen Besitz an keinen Spekulanten der Zeitenwende verkaufen will, kann als Kommentar auf den Ausverkauf unserer Städte gelesen werden.
Oder ein jüngeres Stück mit dem Titel Ich bin nur vorübergehend hier: ein schonungsloser Blick auf das Alter in einer Gesellschaft, in der der demografische Wandel vollkommen neue Lebensmodelle einfordert.
Und natürlich der Merlin mit seinen 15 Stunden Spieldauer und 97 Szenen – ihr Opus Magnum, das von der Brüchigkeit der Zivilisation erzählt. Es ist auch ein Spiegel unserer Gegenwart, die dringender, denn je neue Werte und Orientierung benötigt.
Und der Versuch über das Böse in Korbes ist in seiner Universalität ohnehin zeitlos.

Ursula und Tankred waren unerlässlich produktiv. Sie haben noch bis kurz vor seinem Tod 2017 an einem Libretto geschrieben: ein Fragment mit dem Arbeitstitel Frédéric. Es geht darin um das rheinische Unternehmertum und Friedrich Engels, drei Affen spielen die Hauptfiguren. Man kann sich das so richtig gut vorstellen, wie die beiden dasitzen und die Affen sprechen lassen …

Für Ursula war es nicht leicht, sich nach Tankreds Tod neu aufzustellen, die andere Hälfte war nicht mehr da.
Ich bin sehr froh, dass du das trotzdem noch einige, wunderbare Jahre geschafft hast, liebe Ursula. Dein Interesse am Theater, am Kino, an der Kunst und den vielen dir verbundenen Theatermenschen hat nie nachgelassen. Deine Besuche beim Theatertreffen waren mir immer wichtig. In den Gesprächen nach der Vorstellung blitzte bis zum Schluss deine quirlige, forsche Art auf – immer die Kunst wertschätzend, und doch wusste ich sofort, ob es dir gefallen hatte.

„Wer hätte hätte hätte das gedacht”, schriebst du am 25. Oktober 1981 in euer gemeinsames Tagebuch nach der unerwartet erfolgreichen Düsseldorfer Merlin Uraufführung. Das klingt wie ein guter Lebensslogan für deine optimistische Offenheit, deine zugewandte Wärme, deine immerwährende Energie und unablässige Neugier.

Liebe Ursula, hab es gut! Jetzt bist du wieder mit deinem Tankred vereint: Habt es gemeinsam gut!

 


Yvonne Büdenhölzer ist Dramaturgin und Kuratorin und leitet seit 2023 den Suhrkamp Theater Verlag. Die Rede von Yvonne Büdenhölzer basiert auf einem Nachruf für Theater heute, erschienen im April-Heft 2024.